Theo Waigel in Vöhringen, mehr als ein nachhaltig wirkendes Erlebnis
Sein äußeres Markenzeichen mögen die buschigen Augenbrauen sein, doch was sich dahinter verbirgt, das erlebten die über 150 Gäste bei der Veranstaltung in der passend und festlich geschmückten Turn- und Festhalle in Vöhringen mit dem früheren Finanzminister und CSU-Ehrenvorsitzenden Theo Waigel hautnah und auf ganz besondere Weise.
Es war wie ein Adventsgeschenk, das sie da vermittelt bekamen: mittendrin in den krisenhaften und aufgeregten Zeiten beschrieb der heute 76-jährige christsoziale mehr schwäbischer als bayerischer Politiker aus Ursberg die „Herausforderungen für Deutschland und Europa“.
Völlig unaufgeregt, mit der Sachkenntnis dessen, der jahrzehntelang als Spitzenpolitiker die Politik in Deutschland mitgestaltet hat und auf der Grundlage eines festen Wertekanons, beantwortete er die Frage, „Warum tun Sie sich das noch an, Tag für Tag unterwegs zu sein?“ mit seiner Rede selbst. Denn noch immer hat er etwas zu sagen, mit der Abgeklärtheit dessen, der als nicht mehr aktiver Politiker mit dem Überblick und der Gelassenheit dessen, der so vieles geleistet hat in einem langen Leben, vielleicht noch mehr als früher.
So entführte der promovierte Bauernsohn die aufmerksam zuhörenden Gäste nach der Begrüßung durch Andrea Kopp und einem Grußwort des Landtagsabgeordneten und CDU-Kreisvorsitzenden Stefan Teufel in der festlich geschmückten Halle die Besucher in die deutsche, europäische und Weltpolitik. Und Theo Waigel machte klare und eindeutige Aussagen zu dem aktuellen Thema der Zeit, der Flüchtlingskrise: Das „Wir schaffen das“ von Angela Merkel ergänzte er, wie sie selbst in jüngster Zeit ja ebenfalls, durch die Betonung der notwendigen Komponenten – „wie schaffen wir es und mit wem?“ – und gab sich überzeugt: Wenn wir das menschliche Miteinander hinkriegen, auch eine Begrenzung schaffen (eine Zahl als Obergrenze festzulegen, lehnt er klipp und klar ab), die Integration schaffen, dann ist auch die finanzielle Belastung leistbar.
Wie überhaupt während des gesamten, knapp einstündigen Vortrags des Finanzministers, der die deutsche Einheit zu schultern hatte, deutlich wurde: die Finanzen sind wichtig, doch sie spielen in Wirklichkeit lediglich die zweite Rolle hinter den Werten, für die eine Politik aus der christlichen Verantwortung gestaltet wird. Geradezu faszinierend, wie Theo Waigel Tragödie und Glücksmomente des vergangenen Jahrhunderts beschrieb: angefangen davon, wie alle die Herrscher in den frühen Jahren des 20. Jahrhunderts geradezu blindlings in den Ersten Weltkrieg hineinschlitterten, keiner ihn verhinderte, über den Tod seines Bruders mit 18 Jahren ein Jahr vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs bis hin zu deutschen Einheit, der europäischen Einigung und zum Euro, als dessen Vater er gilt. Wie die Situation heute wäre, mit allen Währungsschwankungen, wie dies früher der Fall war, auch das deutete Theo Waigel in seiner tour d’horizon durch ein Jahrhundert Zeitgeschichte an.
Ein ernster Vortrag, angemessen in einer Zeit, in der nahezu alles aus den Fugen zu geraten scheint. Und so wie er seinen Nachnachfolger Wolfgang Schäuble lobte – und ihn nicht beneidet um seine Aufgabe – und seinen Auftritt am Tag zuvor bei Günther Jauch würdigte, so verstand es auch Theo Waigel die Komplexität der Politik auf eine einleuchtende Art zu erklären. Und gelegentlich mit einem Bonmot zu untermauern. So wenn er beim Blick auf die Länder, die in Europa mit Problemen zu kämpfen hatten – so wie Griechenland noch heute – und er bei der Sicht auf Italien bemerkte: Auf die Frage, warum ein Bekannter bei den Wahlen zum italienischen Parlament den Komiker Grillo gewählt habe, habe dieser geantwortet: „Auf seiner Liste sind die wenigsten korrupten Politiker.“
Jeder Satz sitzt. Braucht keine weitere Erläuterung.
Auch nicht der auf die Frage in der Diskussion nach dem Auftreten von Seehofer gegenüber der Bundeskanzlerin. „Es war suboptimal“, habe er zu ihm gesagt, nachdem er auf den Platz zurückgekommen war. Und dann setzte Theo Waigel in der Festhalle in Vöhringen hinzu: „Ich habe vor niemandem Angst.“ Er sagt, was er denkt. Gegenüber wem auch immer.
Ein denkwürdiger Abend.
Zur Landespolitik in Baden-Württemberg hatte er übrigens zu Beginn nur sein Bedauern ausgesprochen, dass es derzeit keine Minister mehr von Bedeutung mehr gibt. Man kennt niemanden mehr. Er erinnerte neben den CDU-Ministerpräsidenten vor allem an Gerhard Mayer-Vorfelder, mit einer ebenfalls sehr bemerkenswerten Aussage: „Er war als Finanzminister verlässlicher als mancher bayerische Kollege von ihm.“ Auch das saß.
In einer wieder einmal von der CDU Vöhringen unter Leitung von Andrea Kopp durchgeführten Veranstaltung, bei der alles stimmte, auch das Ambiente mit Speis und Trank, mit der Drei-Mann-Akkordeon-Begleitung vor und nach den Reden, mit einem Stefan Teufel, der das Notwendige zum landespolitischen Teil beisteuerte – und mit der guten Zusammenarbeit mit dem CDU-Stadtverband Sulz, und auch die CDU Dornhan trug ihren Teil bei.
Wenn irgendwo die so oft im Mund geführte Nachhaltigkeit ihre Bedeutung hat, dann hier, denn dieser Abend wirkt nach. Und für Theo Waigel endete er spät, er musste noch nach Hause fahren – und am nächsten Morgen um sechs Uhr aufbrechen nach Köln. Warum er sich das antut? Die Antwort können die gerne und überzeugend geben, die mit dabei waren in Vöhringen! Und denen er ins Stammbuch schrieb: „Ich wollte in keiner anderen Zeit leben als in dieser! Es soll mir keiner kommen mit den Sprüchen von der ‚guten, alten Zeit‘“!